Wir leben in interessanten Zeiten. Die Benzinpreise – Aufreger Nummer eins in einer Gesellschaft, in der nach den Fetischen Jugend und Schönheit Fetisch Mobilität unmittelbar folgt und sich Individualität lediglich in schmückendem Beiwerk für das fremd finanzierte KFZ manifestiert, das sich diese kaum noch zu unterscheiden vermögen – klettern und klettern. Demokratur pur.

Natürlich ist der Staat schuld wie an alle anderen auch. „Spritsteuer runter“ wird gerufen. Aber daran, dass die Spritpreise tages- und tageszeitabhängig sind, auf Temperaturen reagieren und auf Tagesereignisse, obwohl in denTanks der Supermärkte mit angeschlossenem Spritverkauf noch jeweils der ‚billigere‘ Sprit im Tank schwappt und die Preise erst dann geringfügig sinken, wenn der ‚teurere‘ schon lange verkauft ist, das stört öffentlich niemanden. Ach ja, der Staat. Ölplattformdesaster? Verantwortlich: der Staat. Bessere Gesetze. Proteste, die die Ölkonzerne an ihre Verantwortung erinnern und zu transparenter Preispolitik zwingen oder gar Konsumverweigerung durch Generalautoverzicht für ein paar Tage? Fehlanzeige. Nichts. Nada. Darum können Konzerne tun und lassen, was sie wollen.

Also der Staat. Kirchen dienen – das hat mittlerweile wohl der Dümmste begriffen – allein der klerikalen Denkmalpflege und Pfründeverwaltung und haben sich selbst jeder Verantwortung inklusive der Selbstverantwortung entzogen, Konzerne nehmen nur die den Aktionären gegenüber war, die in deren Augen allerdings nur Aktionäre sind, aber keine Menschen im Sinne von Mitbürgern und/oder Nachbarn, Konsumenten und/oder Mitarbeitern, diese Säulen stehe nur rum und haben ihre Stützfunktion längst eingebüßt. Bleibt der Staat. Wer aber die Merkels, Westerwelles, Berlusconis, Gaddafis dieser Welt betrachtet, sollte sich spätestens Fragen stellen: was kann man – bitteschön – von denen verlangen, von Personen des Zeitungeistes, die nicht einmal mehr zu Vorlagen  des politischen Kabaretts taugen, weil sie die eigenen Parodien schon längst als Realsatire hinter sich gelassen haben und selbst die schnellsten Possenreißer mit hängender Zunge jeder Pointe aus deren wahrem Leben hinterher hecheln? Auch nichts. Richtig.

Was bleibt? Schimpfen. Am besten in Foren oder so genannten sozialen Netzwerken. Das mit dem ’sozial‘ in diesem Zusammenhang muss man mir bei Gelegenheit mal erklären. Oder zuhause. Bei Bier und Chips. Oder Rotwein und Tapas. Oder Tee und Sojakeksen. Je nach Gusto. In der Hauptstadt gibt es Jahr für Jahr über 2.000 angemeldete Demonstrationen. Im Ernst. Bekommt bloß keiner mit. Weil jedes noch so putzige Grüppchen für sich und gegen den Rest Süppchen köchelt und unglaublich betroffen ist. Von sich und den eigenen Kümmernissen. Beim Thema Tierschutz ist das nur unwesentlich anders.

Wer sich mal die Mühe macht und in die Petitionslisten des Deutschen Bundestag schaut und die Flut an Causes- und Petitionsanfragen verfolgt – so arbeitslos (sorry, natürlich Arbeit suchend) kann man nicht sein, um das wirklich zu tun -, stellt schnell fest, dass jede Anfrage für sich so fragmentiert, so klein, so selbstbetroffen ist, dass sie zur Erfolglosigkeit verdammt ist. Von vorne herein. Was jeder Petitent wissen müsste. Oder zumindest sollte. Aber immerhin könnte. Das bestimmt.

Solange das so ist und jeder fröhlich den eigenen Tellerrand als unüberwindliches Hindernis wahr nimmt und sich einer ‚Bewegung‘ nicht anschließt, weil der Vorsitzende Fleischfresser ist oder die Vorsitzende mit einem Pelzkragen zur Konfirmation gesehen wurde oder eine Yacht besitzt oder ein falscher Dialekt stört oder die Haarfarbe oder weil er/sie homosexuell ist oder eben nicht oder einfach nur ein Mückenschiss neben der eigenen Generalüberzeugung atmet und lieber eine solitäre Petition verfasst, solange sitzen die Leitungen der Konzerne, der Parteien, der Kirchen gemütlich auf ihren Sesseln und zappen ungestört durch unsere Betroffenheiten wie wir durch die privaten Fernsehkanäle auf der Suche nach Reality Shows, die uns in dem bestätigen, was wir leben.

So jedenfalls wird alles so bleiben, wie es ist: Demokratur pur.

Es sei denn, es gelingt uns, unabhängig von Hautfarbe, Konfession, Alter, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Ernährungsgewohnheit, politischer Richtung, Ausbildung und Einkommen, uns auf etwas zu einigen, dass all das nicht braucht und nicht versteht: auf die Forderung nach einem konsequenten Tierschutz, den alle tragen können – denn ausnahmsweise geht es dabei nicht um uns!

© Michael Marx – 02/2011

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