Zum Glück gibt es die Piraten. Aus dem Stand heraus mit 9 % in den Berliner Senat. Gewählt. Mit Kommunalgelb als Hausfarbe – vulgo orange – wie in Berlin alle anderen öffentlichen Müllbehälter auch und Fellhosen und Leibchen vergangener Ravebewegung ebenso. Mit nicht viel mehr Inhalt als den Magdeburger Halbkugeln, was zugleich aber auch deren Haftmittel war: einem verlässlichen Vakuum. Piratenpraktikum?
Eine Partei als Blackbox jedweder Projektion von Wunsch bis Traum unter konsequenter Ausblendung der Wirklichkeit – so entsteht die notwendige sexyness – zumindest für Teile einer Legislaturperiode. Jede Periode hat eben ihre Zeit. Aber wehe dem, die Blackbox muss sich füllen und somit Träume und Wünsche verdrängen. Wehe dem, es könnte sich heraus stellen, dass außer ‚kein Inhalt‘ kein Inhalt eint. Dass es doch gleich zwei Geschlechter gibt, die gleich vertreten sein möchten. Wehe dem, dass 19 und 90 doch so wenig kompatibel sind wie GTI und Gehhilfe. Wehe dem, dass das Internet gerne so tut als ob, dennoch aber – oh weh – nicht mit Realität identisch ist. So manch Engel wird sich gefallen im Staub der Realpolitik verwundert die Augen reiben und begreifen, dass alles ganz anders ist als diese schönen Programme, die stets mit den Worten beginnen: Es war einmal…
Zum Glück gab es also die Piraten, die mich bewogen haben, mal nach Tierrecht und Tierschutz in Parteien mit real existierenden Programmen zu suchen. Jede Recherche gab meinen Befürchtungen Recht: keine Lobby für das Getier, Schutz lediglich dem Stimmvieh, so lange der Wahleimer drunter passt.
- Sozial und -istisch führt in diesem Fall auch nicht weiter, Ameisen brauchen keine Lobby und für Pelzträger ist hier ebenfalls kein Platz, was bleibt, sind Gartenzwerge und die passen in den luftleeren Raum irgendwo dazwischen, ideologische Käfighaltung zwingt zu Zugeständnissen: abgewohnt.
- Christlich war mal gut gemeint, müsste aber selbst bei Wohlwollen mittlerweile als blasphemisch gerichtliche Würdigung finden dürfen, geht es doch hier – besonders in der zynischen Steigerungsform ‚christlich-sozial‘ – dem Tier gehörig ans Fell: nein, danke.
- Liberal ist das Verständnis für jedwede Wirtschaftsmodelle vom Schwein, mit Gräten oder in der Garderobe, da passt Schutz nicht ins Beuteschema: Lobbylobby.
- National schützt nur blonde Rassen, Schäferhunde, Pitbulls und alles, was den anderen vom Tische fällt, ist also in mehr Hinsichten unwählbar, als stiernackige Dumpfbratzen dort ihr Unwesen treiben: diese Stiernacken gehören auf den Grill demokratischer Vernunft.
- Piraten haben im Internet zwar schon von der Existenz so genannter ‚Tiere‘ gehört, haben sich aber noch keine Meinung hierzu ergoogelt: luftleerer Raum.
- Bleiben die Grünen? Eine Sonnenblume ist floralen Ursprungs, Atome kaum noch spaltbar, Energie lässt sich erneuern, alles frisch in Staates neuer Mitte und seit der Turnschuh im Museum steckt, leistet er dort Kreativität und zivilem Ungehorsam artig Gesellschaft: Religion vor Tierschutz und sonst nix Neues: ein bisschen Wal, ein bisschen Käfighaltung – das war’s im Großen und Ganzen.
Und nun? Piratenpraktikum?
Die Wähler jedenfalls spenden Futter, kraulen importiertes Kleinvieh und pöbeln auf Facebook. ‚Gefällt mir‘. Aber immerhin. Die Auseinandersetzung mit Programmen zumindest fehlt, telegen ist wählbar und wenn schon Doktorarbeiten lediglich Gebrauchsprosa-Shareware sind, wozu sich dann noch mit Inhalten auseinander setzen, es reagiert in Berlin niemand mehr und ansonsten aller Orten das geliebte Vorurteil:
Raser wählen nicht grün, Bosse nicht rot, Malocher nicht liberal, Rote nicht christlich und Interessierte nicht orange, Normale nicht braun. So weit, so halbwegs übersichtlich dargestellt. Was aber wählen nun die, die sich Tierrecht und Tierschutz verbunden fühlen? Konsequent gedacht käme keine der aufgezählten Unmöglichkeiten in Frage. Nicht wählen käme nicht in Frage, da keine Stimme keinem hilft, dem Tierrecht, dem Tierschutz am Allerwenigsten. Was also tun?
Es gibt da eine Alternative, die es – wirklich kein Grund zum Jubel – in Berlin auf mehr Stimmen brachte als die FDP: Partei Mensch, Umwelt, Tierschutz, kurz: Die Tierschutzpartei. Bisher nicht richtig zur Kenntnis genommen, machte mich die Wahl zum Berliner Senat neugierig, zumal es die einzige Partei war, die der Einladung zur Teilnahme an der Veranstaltung im Rahmen des ‚WEEAC‘ am 8. Oktober in Berlin folgte und in Sachen Tierrecht Stellung bezog. Ein sperriger Name, ein Aha-Erlebnis:
Die haben ein durchdachtes soziales und finanzierbares Programm, weit mehr als reine Fokussierung auf Tierschutzpolitik, ein durchaus wählbares Parteiprogramm mit Interessantem zu Gesundheits-, Sozial- und Familienpolitik, kurz, zu allen politischen Bereichen inklusive Innen- und Außenpolitik. Auch wenn der Kurzname ‚Die Tierschutzpartei‘ etwas anderes androht. Urteil: wählbar. Was ich auch tat. Ergebnis in toto: magere 1,4% der Stimmen. Moment…
Angenommen, alle die, die Tierschutz – erst Recht Tierrecht – wirklich ernst nehmen… Man wird träumen dürfen.
Ich träume nicht mehr und bin aktives Mitglied geworden. In dieser Eigenschaft möchte ich alle neugierigen Berliner einladen zum
Infotreff der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (MUT)
Mittwoch, 7. Dezember · 19:00 – 22:00
in der „Seerose“
Mehringdamm 47 (U-Bhf. Mehringdamm/ U6, U7)
10961 Berlin
Der lange Marsch durch die Instanzen… KEIN Piratenpraktikum!
© Michael Marx – 11/2011
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